Der 12. Kongress Automotive Lean Production fand am 6. und 7. November 2017 in Neckarsulm statt. Das Audi Werk an diesem Standort stellte dafür das Audi Forum zur Verfügung und öffnete die Pforten seines Werkes für die Gäste des Kongresses.
Die Highlights der diesjährigen Werkführung konzentrierten sich auf zwei Themenbereiche. Im Bereich Logistik sahen die Besucher clevere ergonomische Gestaltungsbeispiele, aber auch Applikationen von I4.0, die den Menschen die Arbeit erleichtern und die Fehlerrate in der Kommissionierung verringern. Im zweiten Bereich, dem Trainingscenter, konnten die Teilnehmer sich davon überzeugen, wie die Befähigung der Menschen beim Audi Werk im Vordergrund steht, sei es für die Werker in situationsbezogenen Profiräumen oder für die Führungskräfte im Shopfloor Management mit dem Konzept des Mentor–Mentee.
In den Siegervorträgen erhielten die Teilnehmer Informationen aus erster Hand, wie ein Werk in kurzer Zeit mit „Passion for Manufacturing“ in die „Lean Welt“ gedreht werden kann, aber auch wie ein Brownfield kein Handicap, sondern eine Herausforderung ist, die gelöst werden kann, damit „mit Vielfalt und Flexibilität die Zukunft gestalten“ Realität wird. Mit Lean Methoden Prozesse zunächst stabil zu machen und mit I4.0 dann noch sicherer und schneller zu werden, ist der Ansatz, den viele der Gewinner bevorzugen. Im Gegensatz zu Lean, das klare Zielgrößen kennt, ist der Begriff Smart Factory nicht so eindeutig zu fassen. In seiner Key Note „Smart Factory bei Audi – von der Vision zur Realität“ zeigte Herr Stettner (Werksleiter Neckarsulm) dem Publikum eindrucksvoll, wie der Audi-Weg Schritt für Schritt Gestalt annimmt. Wie weitreichend die Gedanken bei Smart Factory gespannt werden können skizzierte der Vortrag Big Data@Smart Factory. Von der deskriptiven Analyse – „Was ist geschehen?“ bis zur präskriptiven Analyse – „Was sollen wir tun?“ reicht der Bogen. Auf diesem Gebiet werden wir in Zukunft noch Vieles und Großes sehen. Einen ersten Eindruck erhielten die Teilnehmer an dem diesjährigen Kongress Automotive Lean Production Kongress mit konkreten Beispielen.
Als eines der Highlights des Mercedes Produktionssystems benennt die Jury stellvertretend die effiziente Materialzuführung im Karosseriebau in Verbindung mit einer Low Cost Automation sowie die Materialbereitung in der Montage mittels Warenkörben als wichtiges Element eines so genannten New Lean Concept. Sehr positiv fiel den Begutachtern von Agamus auch der vor Ort praktizierte Einsatz von Additive Manufacturing auf. Wie sie erläutern, entstand unter dem Leitbild „Projekt Zukunftsthemen“ die Idee, sich ein Stück weit weg von der herstellungsgerechten, hin zur funktionsorientierten Konstruktion zu bewegen. Durch den Einsatz industrieller wie auch kommerzieller 3D-Drucker können so flexibel und kostengünstig Betriebsmittel für den Fertigungsalltag hergestellt werden.
Zur Gruppe von Fiat Chrysler Automobiles (FCA) gehört der italienische Zulieferer Magneti Marelli, dessen Werk in Bari einen Lean Production Award in der diesmal zweifach belegten Kategorie „Supplier“ zuerkannt wurde. Im Jahr 2012 startete das Werk Bari (es fertigt Motor- und Getriebekomponenten) mit der Implementierung eines ganzheitlichen Lean Ansatzes, in den nun der Rollout des von FCA verwendeten und mittlerweile auch stark weiterentwickelten Produktionssystems WCM (World Class Manufacturing System) sukzessive und erfolgreich hineinspielt. Laut FCA sollen bis 2020 unter anderem auch 60 Prozent der Tier-2 Lieferanten WCM befähigt sein. 2015 wurde bereits ein erster Zulieferer mit dem „WCM Bronze Level“ gekürt.
Das Cost Deployment wird mittels des in Bari entwickelten WCM Online Cost Compass in einer neuen Stufe der Effektivität und Effizienz betrieben. Die Qualitätsarbeit ist vorbildlich – sowohl die präventive Q-Arbeit für neue Produkte und Serien als auch die Reaktion auf einen der sehr seltenen Fehler. Das Werk in Bari verwirkliche „eine hervorragende Symbiose aus Lean und Digitalisierung“. Die stabilen Prozesse infolge des hohen Lean Reifegrads ermöglichen es, mittels Smart Applications die nächste Stufe der Verschwendungsvermeidung zu erreichen. Das Evaluierungsteam konnte sich im persönlichen Praxistest vor Ort vom nutzbringenden Einsatz von VRT (Virtual Reality Training) oder Camera Glasses überzeugen.
Ein weiterer ALP-Award in der Supplier-Kategorie geht ins rumänische Timisoara. Das dortige Continental Automotive Werk, welches Airbag Controller und Fahrzeuginstrumente produziert, stand vor der Herausforderung, sich von einem Best-Cost-Werk mit abzuarbeitendem Produktionsprogramm zu einem Vollwerk mit hohem technischen Know-how zu entwickeln. Im Rahmen des Continental Business Systems CBS hat sich das Werk in Form des Timisoara Production Systems eigene Schwerpunkte gesetzt. Hervorgehoben werden die Standard- und Visualisierungskonzepte, die konsequent angewandt, laufend weiterentwickelt und teilweise auch von anderen Central Electronic Plant (CEP)-Standorten von Continental übernommen werden.
Die vielen jungen lokalen Mitarbeiter arbeiten Hand in Hand mit den zum Teil bereits langjährigen Mitarbeitern im Management mit hohem Erfahrungsschatz. Durch diese Kombination, das gute Shopfloor Management und den komplett gelebten KVP-Gedanken konnte das Werk Timisoara in jüngster Zeit überdurchschnittliche Performance-Steigerungen erreichen. Eine führende Rolle im CEP-Werksverbund nimmt Timisoara demnach auch bei der Digitalisierung ein. Pilotprojekte zu Industrie 4.0 werden teilweise in enger Kooperation mit anderen CEP Standorten oder den Zentralabteilungen entwickelt, erprobt und angewandt.
Der „Special Award“ – für integriertes Shopfloor-Management – wurde dem letztjährigen Sieger in der Kategorie „OEM“, dem Audi Werk in Neckarsulm zuerkannt. Dort wird Shopfloor Management (SFM) definiert als „das Erkennen von Abweichungen und das Lösen der Probleme direkt vor Ort als tägliche Führungsaufgabe“. Näher betrachtet beruht das Shopfloor Management hier auf den Elementen Zielemanagement, Problemlösung / KVP, Standards, Kommunikation, Visualisierung und Qualifizierung. Seit 2014 ist SFM ein umfassendes Projekt, das jeden Winkel des Werkes durchdringt und jeden Mitarbeiter erfasst, getrieben durch einen Top-Down Ansatz des Managements. Inhaltlich baut es auf einem Sechs-Stufen-Plan auf.
Die Qualifizierung der Mitarbeiter beginnt mit einem Grundfertigkeiten-Training (Sicherheit, Qualität, Ergonomie), geht weiter über ein Grundverständnis für Lean Themen (Warum und Wie), wird fortgesetzt im Profiraum-Training (Manuelle Grundlagen für Problemlösung und Modellwechsel) und schließt ab am Arbeitsplatz mit der Perfektion durch Standards. Das Ganze ist ein lebendes, sich selbst steuerndes System: Erkennen der Prozessschwächen aus den SFM-Kaskaden, Zuordnung zur Trainingsstrategie, Entwicklung des Trainings, Durchführung des Trainings mit zertifizierten Trainern und Überprüfung der Nachhaltigkeit. „So wie das Shopfloor Management als Bestandteil der Führungs- und Qualifizierungskultur im Audi Werk Neckarsulm gelebt wird, ist es ein mächtiges Instrument, das in einem gut vorbereiteten Umfeld das leistet, was es verspricht: Exzellent werden in den Dimensionen Lean und Führung“, sagt Werner Geiger.
Ein weiterer Special Award, namentlich für „Lean Transformation“ geht an einen Lean-Newcomer: Das tschechische Werk am Standort Prachatice des InTiCa-Konzerns. Mit seinem Produktportfolio (Steuerungselemente und Sicherheitssysteme für Automobile oder induktive Bauelemente und Module für die Industrieelektronik) besitzt es eine Leitwerk-Funktion für den Fertigungsverbund EU / NAFTA. Die Technologiefabrik wurde im Laufe der Jahre mit hoher Fertigungstiefe in großen Schritten stetig erweitert.
Parallel zum ambitionierten Wachstum machten sich jedoch auch negative Begleiterscheinungen bemerkbar: Die vorherrschende Werkstattfertigung ging mit unterdurchschnittlich wertschöpfenden Tätigkeiten der Mitarbeiter, mit Platzproblemen in Produktion und Logistik sowie mit Rückständen in der Kundenbelieferung einher. Dem Werk fehlten Lean Tools, ein schlankes Produktionssystem und letztlich auch in Lean Praktiken erfahrene Mitarbeiter.
In diesem Bewusstsein wurden alle Abläufe von Grund auf neu ausgerichtet. InTiCa setzte dabei auf eine gesteuerte Lean-Transformation mit fünf Umsetzungsmodulen, wobei die anfänglichen Fähigkeiten und Ressourcen der Organisation ein stark limitierender Faktor waren, den es auch zu überwinden galt. Zunächst wurde das Produkt-Portfolio mit werksinternen Kern- und Schlüsselprozessen nach Wertströmen ausgerichtet. Mittels ABC-xyz-Analysen, Produkt-Prozess-Matrizen und Austaktungsanalysen wurden wichtige Prämissen für ein Zukunftskonzept abgeleitet. Letztendlich führte die Segmentierung zu einer Kombination aus Fertigungslinien für Highrunner und einer auf die weiteren Produkte ausgerichteten flexiblen Mixed-Model-Fertigung. Bei laufender Produktion wurden mehr als 100 Maschinen und Anlagenkomponenten schrittweise in ein flussorientiertes Gesamtlayout verlagert. Im Sinne der bewährten Vorgehensweise von „Optimierung von innen nach außen“ galt es, das Material „fließen zu lassen“ und die Durchlaufzeiten signifikant zu verkürzen. Eine teamorientierte Organisation wurde eingeführt sowie die Aufbau- und Ablauforganisation mit klar geregelten Rollen und Verantwortlichkeiten den geänderten Erfordernissen angepasst.
Für seine „smart industrialization of new technologies“ ausgezeichnet wird die CFK Produktion des BMW Werks Landshut, dem auch die CFK-Umfänge des Standorts Wackersdorf organisatorisch zugeordnet sind. Sie zeichnet verantwortlich für CFK-Strukturbauteile für die BMW M Fahrzeuge, die Premium-Limousine BMW 7er und die Fahrzeuge der BMW i Reihe. Der Special Award würdigt, dass hier in kurzer Zeit mit einer konsequenten Lean-Philosophie eine moderne Fertigung für technologisch komplexe Produkte wie die Herstellung von CFK-Bauteilen aufgebaut wurde.
Um die Wettbewerbsfähigkeit dieser Schlüsseltechnologie für die Zukunft zu gewährleisten, musste das Verständnis für die Prozesse geschärft werden. Dies war eine Grundlage, um die Verschwendung in den Produktionsabläufen zu reduzieren. Agamus-Geschäftsführer Dr. Werner Geiger erläutert: „Es muss hierbei hervorgehoben werden, dass die Produktion der CFK-Bauteile noch im Anlaufmodus war. Neben der Erhöhung der technischen Erfahrung wurden die Material- und Fertigungssteuerung konsequent optimiert. Das führte zu einer deutlichen Erhöhung der Bestandsqualität und einer verbesserten Transparenz der Lieferantenperformance. Um die Durchlaufzeiten kontinuierlich zu reduzieren, wurden Workshops unter Anwendung der Wertstrommethodik durchgeführt. Durch die konsequente Einbindung der Mitarbeiter konnten hierbei wesentliche Erfolge erzielt werden.“
Eine zusätzliche Stellschraube zur Optimierung des Werkes wurde durch die Verbindung der Lean Roadmap mit der Digitalisierungs Roadmap des Ressorts für Einkauf und Lieferantennetzwerk mit definierten use cases installiert. Für jeden use case ist ein business case hinterlegt. Die Roadmap erlaubt die Erprobung der abteilungsübergreifenden Aktivitäten auch bei unterschiedlichem Reifegrad. Die Interdisziplinarität, eindeutige Strukturen und die klare Konzentration auf Fokus-Themen sind die Grundlagen für einen erfolgreichen Umgang mit den Chancen von Industrie 4.0. Ein Ergebnis der konsequenten Umsetzung: Die Overall Equipment Effectiveness (OEE) und die relevante technische Verfügbarkeit konnten in großen Schritten gesteigert werden, zudem hat sich die Auslieferqualität deutlich verbessert.
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